Gestern sind die Publisher von Dungeons & Dragons, Wizards of the Coast (WotC), hart zurückgerudert und haben die grundsätzlichen Inhalte und Regeln von Dungeons & Dragons (DnD) – das System Reference Document (SRD) – unter der Creative Commons Lizenz CC BY 4.0 veröffentlicht.
Das erlaubt mir, dieses Regelwerk hier zum Download anzubieten. Ich könnte es sogar verändern, remixen, Inhalte hinzufügen und dann mein eigenes Inhaltspaket verkaufen, solange ich die ursprünglichen Urheber WotC nenne.
Gute Sache, das. Die CC BY 4.0 Lizenz ist weitreichend, offen und community-freundlich. Und, fast am wichtigsten, sie ist unwiderruflich. Damit können jetzt also alle Content Creators, Firmen und motivierten Privatnerds durch die Lizenz abgesichert eigene Zusatzpakete, Welten, Kampagnen – kurz Inhalte – für DnD das SRD5.1 produzieren UND monetarisieren.
DnD ist wohl das am weitesten verbreitete und bekannteste Regelwerk für Pen&Paper-Rollenspiele. Jeder hat es irgendwie schon einmal gehört, zumindest als klischeehafte Freizeitbeschäftigung für Nerds. In den letzten Jahren hat DnD wieder deutlich mehr Schwung gewonnen – dieser Trend startete schon vor den Corona-Lockdowns, wurde durch diese aber sicherlich noch verstärkt. Schließlich war und ist DnD eine gute Möglichkeit, kreativ Zeit mit Freunden & Familie zu verbringen, und sei es über Zoom o.ä.
Ein anderer Trend lief und läuft parallel dazu – die Durchdringung von allem (also auch DnD) durch das Netz. Smartphones sind kalter Kaffee und jeder hat eins, Apps sind etablierte Kanäle und Verkaufsplattformen, Communities bilden sich wie selbstverständlich auf allerlei Plattformen, Software-Tools und deren Entwicklung sind so zugänglich wie noch nie, nichts steht mehr alleine da, sondern funktioniert immer in einem Ökosystem mit anderen Akteuren.
Digital’nD
WotC allerdings haben vor 10-15 Jahren diese schöne neue digitalisierte Welt verpennt. Die längste Zeit war die Idee eines digitalen Geschäftsmodells, PDFs der Regel- und Inhaltsbücher zu verkaufen. Dabei ist es WotC noch nicht einmal gelungen, die absoluten Basics abzubilden. Die PDFs kosteten exakt genauso viel wie die physischen Bücher. Es gab in den physischen Büchern nicht etwa einen Code, der einem auch das digitale Buch geben würde – nein, Double Dipping war die Strategie. Die ambitioniert getaufte “DnD Beyond”-App zeigte am Anfang buchstäblich nur die PDFs, einzig eine nicht wirklich gut funktionierende Suche gab es als Mehrwert. Zaghaft und langsam kam dann ein Charakter-Editor dazu, der für lange Zeit absolut barebones war.
Fantastische Lösungen, die gleichzeitig auch die ein oder andere neue Tür zum Geldverdienen geöffnet hätten, kamen nicht von WotC. Die großartige Virtual Tabletop App Encounter+ zum Beispiel: tolles Werkzeug für DMs, coole Features und sehr nützlich. Nicht von WotC.
Online-Plattformen für Remote-Spiele wie Roll20 oder Fantasy Grounds – während Corona vermutlich tatsächlich das ein oder andere Mal Lebensretter – entstanden und florierten über die letzten Jahre. Allerdings nicht unter der Regie von WotC.
DMs Guild als Plattform für Community-generierte und kommerzielle Zusatzinhalte lockt vielen DMs und Spielern immer mal wieder den ein oder anderen “InAppPurchase”-€ aus der Tasche. Gewinner ist allerdings nicht WotC.
Die Inhaltslizenz für DnD-basierte Videospiele wurde allerdings verramscht wie nichts Gutes – mit überwiegend vorhersehbaren mittelprächtigen Ergebnissen .
Die wichtigste Kennzahl für WotC – zumindest laut den Leaks der letzten Wochen – ist die Anzahl der Abonnenten für DnD Beyond. Gleichzeitig ist diese Subscription scheinbar auch die Spitze dessen, was im Moment an digitalen Services von WotC zu erwarten ist. Für mich, und ich bin damit sicherlich nicht alleine, sind die Features, die man mit einem Abo kauft, allerdings lächerlich und frech. Für 1/3 Netflix kann ich in der App so viele Charaktere erstellen, wie ich will. Für 1/2 Netflix kann ich die Regelbücher in meiner Bibliothek mit anderen Spielern teilen – genau DIE Bücher, die ich zum Buchladenvollpreis vorher in der App gekauft habe.
Für das Charakter-Management gibt es dutzende freie und offene Lösungen mit mehr oder weniger identischen Features. Und das Content Sharing fühlt sich eher nach Erpressung an als nach einem Feature – “Nette DnD-Gruppe hast du da mühevoll zusammenbekommen. Wäre ja eine Schande, wenn das Spielen nicht klappt, weil nicht alle Gruppenmitglieder auch noch Geld in unsere App werfen wollen. Für nur 6€ im Monat schaffen wir dieses Problem gerne aus der Welt”. Jeder, der schonmal versucht hat, Neulinge für DnD zu begeistern, weiss, wieviel Erklärung und Überzeugung dafür nötig sein kann. Mit DnD Beyond kommt die Entscheidung zwischen “Zahle ICH 6€ im Monat” oder “Erkläre ich dem Neuling, das er bitte noch 30€ für das Kampagnenbuch einwerfen darf” dazu – großes Kino.
Geld verdienen mit der Arbeit der Community?
Digital ging also nicht viel in den letzten 10-15 Jahren von WotC aus. Aber zum Glück sind die DnD-Fans in die Bresche gesprungen und haben eine lebendige und blühende Community geschaffen. Und wie man das ja von Videospielen und Mods kennt: eine aktive Community ist fantastisch für das Basisspiel. Sie erzeugt Langlebigkeit – es gibt genug Abwechslung, auch wenn man das Basisspiel “durchgespielt” hat, gibt es neues zu entdecken. Die Community öffnet neue Nischen – Tolkien-esque eurozentrische “Orcs und Drachen”-Welten sind nicht so deins? Wie wäre stattdessen mit einer Welt, in der du eine Katze, ein SciFi-Roboter oder ein gestaltwandelnder Delphin bist? Und natürlich ist eine Community ein echter Treiber für Neues und Verbesserung – Ecken und Kanten des Basisspiels werden abgeschliffen, neue Ideen ausprobiert und am Ende kann auf dieser Grundlage das Basisspiel verbessert werden.
Und natürlich weckt so eine aktive Community auch Begehrlichkeiten. Naheliegender Gedanke, auch für WotC: es muss doch einen Weg geben, all diese zusätzliche und oft genug unbezahlte freiwillige Arbeit, all diese Beteiligung, dieses fleissige Hintergrundrauschen IRGENDWIE zu Geld zu machen? Und wäre das nicht auch nur fair? Schließlich würde es all das ja nicht geben, würde nicht im Hintergrund das Basisspiel die Plattform bieten?! Ist es nicht das Recht WotCs, in der Mitte des Ökosystems zu sitzen und die Sahne abzuschöpfen?
Pferderüstung, ick hör dir scheppern. Und: you cant have your cake and eat it, too. DnD in 2023 ist nicht da, wo es ist, dank der guten Arbeit und Stewardship von WotC. Im besten Fall haben sie der DnD-Community, die für diese Renaissance verantwortlich ist, nicht geschadet. Im schlechtesten Fall hat die Entwicklung der letzten Jahre trotz WotC stattgefunden.
Was ist passiert?
Auftritt Open Game License Version 2.0 – die Open Game License (OGL) ist eine von WotC erstellte Lizenz, die die Verwertung der ihr unterstellten Werke regelt. Sie wurde 2000 in der Version 1.0 veröffentlicht, ihr wurde damals das System Reference Document der dritten Edition von DnD unterstellt. 2016 wurde dann auch das SRD der fünften Edition unter dieser Lizenz veröffentlicht.
Und im November 2022 kündigte WotC an, die neue One DnD Edition wahrscheinlich vermutlich bestimmt auch unter einer “weiterentwickelten Version” der OGL zu veröffentlichen:
“Während es sicher ist, dass unsere Open Game License (OGL) sich weiter entwickeln wird, so wie sie es seit ihrer Gründung getan hat, sind wir zu früh in der Entwicklung von One D&D, um zu diesem Zeitpunkt mehr Details über die OGL oder das System Reference Document (SRD) zu geben.”
Primärquelle Comicbook.com, Übersetzung von mir.
Dieses nichts-sagende Statement wurde von Leaks der neuen Version der OGL begleitet. Und darin fand sich einerseits die Absicht, jede ältere Version der OGL und die darunter fallenden Veröffentlichungen unwirksam zu machen und der neuen Version zu unterstellen. Andererseits würde nach der geleakten Version Umsatz über 50.000$ p.A., der von OGL-lizensierten Inhalten stamme, bei WotC anzeigepflichtig werden. Aber einer gewissen Umsatzgrenze wären dann natürlich auch Abgaben an WotC fällig geworden.
Und daraufhin lief die DnD-Community Sturm – verständlicherweise. Wie oben beschrieben sind eben viele der modernen Erfolgsfaktoren für DnD nicht von WotC ausgegangen. Diese Erfolgsfaktoren dann rückwirkend unter eine restriktivere Lizenz zu stellen, um sie zu monetarisieren, ist lehrbuchmäßiger Turbo-Kapitalismus.
DND Beyond wurde boykottiert in einem Ausmaß, das stellenweise die Unsubscribe-Seite nicht mehr erreichbar war. Es gab Petitionen, Aufrufe und Pitchforks im Subreddit. Und als schönstes Ergebnis der Affäre wurde von Paizo – der Firma hinter u.a. dem Pathfinder-Regelsystem – die Ausarbeitung von ORC angekündigt.
ORC oder die Open RPG Creative License ist gedacht als Ersatz für die unter WotC-Verwaltung stehende OGL. Es ist die Absicht von Paizo und den anderen mittlerweile mitstreitenden Publishern Kobold Press, Green Ronin, Legendary Games, Roll for Combat, Rogue Genius Games, Chaosium uvm., diese neue Lizenz einer gemeinnützige Organisation mit einer Geschichte von Open-Source-Werten wie der Linux Foundation zur Verwaltung zu übergeben. Ebenfalls sagt Paizo (Übersetzung von mir): “Wir laden Spieleverlage auf der ganzen Welt ein, sich uns anzuschließen und diese systemunabhängige Lizenz zu unterstützen, die es allen Spielen ermöglicht, ihre eigenen, einzigartigen, offenen Referenzdokumente für Regeln bereitzustellen, die ihr individuelles Spielsystem der Welt zugänglich machen.”
Bis gestern war offiziell von WotC nicht viel mehr zu lesen als dieser Tweet:
We know you have questions about the OGL and we will be sharing more soon. Thank you for your patience.
— D&D Beyond (@DnDBeyond) January 10, 2023
Ich wäre aber sehr sehr gerne Spinne an der Wand gewesen bei den internen Meetings (gerade die Leaks sprechen ja dafür, das WotC da alles andere als einig ist). Denn klar ist, das WotC in einer prekären Situation ist. Klar ist DnD als Marke ein gigantisches Zugpferd. Dennoch besteht die Gefahr, das sich die Community von neueren Editionen abwendet und/oder auf andere Regelsysteme wie z.B. Pathfinder fokussiert. ORC kann ja genau das werden – ein eigener Pen&Paper RPG Kosmos mit Blackjack und der Möglichkeit für jeden, unabhängig Geld zu verdienen.
Und da es WotC in der Vergangenheit nicht geschafft haben, sich in anderer Funktion als strukturell wichtiger Player in der Community zu etablieren – sie haben eben nicht mehr als die Marke DnD – ging im Hauptsitz in Washington bestimmt der ein oder andere Hintern auf Grundeis. Natürlich ist eine Marke hervorragend zu Geld zu machen. Aber niemand kann sagen, ob und wie lange DnD Teil des “Mainstreams” bleiben wird. Die Kern-Community um Pen&Paper-RPGs wird aber bleiben. Und darum nun also der 180 von WotC.
Over the past few weeks you, the community, have made your voices heard. And we’ve listened. OGL 1.0a will remain untouched AND the entire SRD 5.1 is now available under a Creative Commons license.🧵 https://t.co/hJTm2Rgruo pic.twitter.com/qiBODaB7oj
— D&D Beyond (@DnDBeyond) January 27, 2023
SRD 5.1 ist seit gestern und auf alle Zeit unter einer guten Creative Commons Lizenz veröffentlicht. Wieviel guten Willen die Wizards sich damit zurück holen können, bleibt offen. Ich ganz persönlich bin gespannt, wie es mit One DnD und der Pen&Paper Community weitergeht. Und ob und wann das nächste Lizenz-Debakel bei WotC auftaucht – ein Kandidat wäre das tolle asymmetrische Collectible Card Game Android:Netrunner. Schaun mer mal.
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