Anfang der Woche hatte ich das Vergnügen, mit dem Zug von Berlin nach München und zurück zu fahren. Zum Glück habe ich ja ein SteamDeck und konnte das Ding im Zug mal wieder etwas ausgiebiger nutzen. Außerdem hatte ich am Sonntag davor SteamOS frisch installiert, da ich aufgrund von einen paar unschönen Erfahrungen mit dem Ubisoft Launcher auf SteamOS einen frischen Start wollte. Und was gehört auf ein jungfräuliches SteamDeck? Ein neues Spiel, klaro.

Und da Hi Fi Rush gerade ziemlich hoch gehandelt wird, habe ich mir das also heruntergeladen und angetestet. Ich will gar nicht zu viel zu Hi Fi Rush sagen, ausser: gutes Spiel, macht viel Spaß.

Ebenfalls bin ich vor kurzem über Prosperous Universe gestolpert – ein Browser-MMO, in dem man den CEO eines interstellaren Unternehmens mimt. Kann man sich vorstellen wie Eve Online, nur ohne den “mit Raumschiffen rumfliegen”-Teil. Auch gutes Spiel, macht auch Spaß.

Videogame-ass Videogames

Und mit diesen beiden Spielen im Hinterkopf habe ich mich an einen Begriff erinnert, der im GiantBombcast-Podcast immer wieder vorkam: “videogame-ass videogames”. Ich weiß nicht, ob der Begriff dort erfunden wurde, aber mir zumindest ist er nur dort wieder und wieder begegnet. Die Hosts haben diesen Begriff verwendet, um durchaus wohlwollend das jeweils besprochene Spiel zu beschreiben. Nicht jedes Spiel bekam diese Beschreibung – aber immer, wenn sie benutzt wurde, habe ich nickend zugestimmt.

Wenn ich mit Freunden über Videospiele spreche, habe ich “videogame-ass videogame” auch ab und an als Beschreibung benutzt – eben immer dann, wenn es sich passend angefühlt hat. Und witzigerweise fängt der Begriff: so gut wie jeder kann sofort ein passendes Spiel nennen, und jeder hat eine Meinung dazu, ob Spiel A es denn nun sein würde oder nicht.

Der Einfachheit halber deutsche ich den Begriff ab jetzt ein mit “videospieliges Videospiel” – ich hoffe, durch das Kürzen des Asses geht nicht zu viel verloren. Und weil ich den Begriff so interessant finde, versuche ich in den folgenden Zeilen mal eine Definition zu entwickeln. Ebenfalls sind die folgenden Zeilen natürlich turbo-subjektiv, ich habe damit keinen Allgemeingültigkeitsanspruch – ich will nur nicht immer wieder “meiner Meinung nach” tippen. Ebenfalls komme ich nicht darum herum, mit Beispielen zu argumentieren. Ich freue mich über jeden Kommentar, der mir erklärt, warum ich das jeweilige Spiel absolut falsch oder richtig verstanden habe!^^

Warum jetzt und heute diese Definition entwickeln? In dieser Woche hatte ich zufällig die wahrscheinlich größtmögliche Diskrepanz zwischen videospielig oder nicht – Hi Fi Rush ist es, mit diversen Ausrufezeichen. Und Prosperous Universe ist es definitiv nicht, mit genauso vielen Ausrufezeichen. Und beide machen mir Spaß.

Welche Teile des Spieldesigns, der Grafik, der Mechanik, des Themes oder Genres eines Spiel machen es mehr oder weniger videospielig?

Sind alle guten Spiele videospielig? Sind alle videospieligen Spiele gut?

Ein besonders videospieliges Videospiel ist nicht besser oder schlechter als andere. Die Videospieligkeit ist kein Qualitätsmerkmal. Es gibt genug Spiele, die sehr videospielig sind, ohne gut zu sein. Kingdoms of Amalur – Re-Reckoning hat sich für mich sehr videospielig angefühlt, ohne dabei besonders fesselnd oder unterhaltsam zu sein. Und andersherum ist Factorio – eines meiner absoluten Muss-mit-auf-die-Insel-Spiele – alles andere als videospielig. Es reicht also nicht zu sagen, das alle videospieligen Spiele gute Spiele sind.

Haben alle videospieligen Spiele ein buntes Theme?

Hi Fi Rush ist bunt und humorvoll. Die Welt von Hi Fi Rush ist unrealistisch und überzeichnet, ein farbenfrohes Comic. Und obwohl sie durchaus ernste Themen wie Ausnutzung von Arbeitern oder Konsumdenken anspricht, hat sie nie einen stumpfen, deprimierenden Sepiafilter über sich. Wo selbst die Marvel-Filme ihre farbenfrohen Charaktere in realistische braune Welten schicken (“Real is brown“), ist Hi Fi Rush hemmungslos farbenfroh – nicht nur oberflächlich in der Darstellung, weltanschaulich-philosophisch darunter eben auch. Nuancen zwischen Charakteren gibt es nicht, die Bösen sind BÖSE und die Guten sind GUT und die Kontraste sind immer auf 100%. Aber macht es das besonders videospielig? Klar, es gibt genug andere sehr videospielige Spiele, die auch sehr bunte, unrealistische Themes haben: PaRappa the Rapper oder Crazy Taxi. Andererseits ist aber nicht jedes farbenfrohes Spiel auch videospielig – mir fallen da z.B. The Witness oder Overwatch ein. Und drittens gibt es auch braune videospielige Spiele, wie z.B. die zeitgenössischen Call of Duties. Also nein, es ist auch nicht das Theme alleine, das ein Spiel besonders videospielig macht.

Sind videospielige Spiele besonders Mechanik-fokussiert?

Das ist eine der Antworten, die einem sofort in den Sinn kommen: ein Spiel ist dann videospielig, wenn es sich so wenig wie möglich dem Naturalismus hingibt. Es versucht nicht, zu simulieren oder vorzuspielen, sondern stellt seine Mechanik in den Vordergrund und sonst nicht viel. Doom 2016 passt da gut rein – auf Köpfe klicken, springen, rennen, rinse & repeat. Und auch Hi Fi Rush macht das schamlos – Gegnergruppe besiegen mit extrem spaßiger Mechanik und nicht viel mehr drumherum, durch Tunnel zu nächsten Gegnergruppe laufen, rinse & repeat. Keines der beiden Spiele versucht in irgendeiner Form, die Mechaniken, die sie am Laufen halten, zu verstecken oder mit aus der echten Welt bekannten Metaphern zu belegen.

Aber müssten dann nicht Incremental Games wie Cookie Clicker die absolute Reinform von videospieligen Spielen sein? Und andersrum – warum fühlt sich Ace Combat: Skies Unknown so verdammt videospielig an, wenn die Mechaniken hier doch hinter jeder Menge siMULaTiOnS-Lametta und Story-Loopings versteckt sind? Das Design der Sekunde-zu-Sekunde-Mechaniken eines Spiels ist definitiv eine Qualität der Videospieligkeit, aber offensichtlich nicht die einzige.

Sind videospielige Spiele unrealistisch?

Die Unterscheidung in realistisch-unrealistisch fühlt sich erst einmal falsch und zu einfach an. Klar, ARMA3 will sehr realistisch sein und ist gleichzeitig nicht sehr videospielig. Gleiches gilt für das gesamte Genre der “ernsthaften” Simulationen – da schließe ich mal sowas wie DCS World oder Gunner, Heat, PC! ein und die meisten Spiele mit Simulator im Namen (z.B. Power Wash Simulator) aus. Das soll keine Wertung sein – ich denke nur, das es hilfreich ist, Sims da irgendwie zu trennen. Und wenn ich nur die erstgenannten Sims betrachte, dann wird es ein falsch-positiv: ernste Sims wollen realistisch sein, eben gerade kein Spiel – darum sind sie eben auch nicht videospielig, sondern Simulationen. Daraus folgt aber nicht, das videospielige Spiele nicht realist-ish sein können. Hier ist hilfreich, den Begriff der Verisimilitude oder Wahrheitsnähe, auch Wahrheitsähnlichkeit, mitzudenken. Call of Duty ist unrealistisch und keine Simulation, aber zumindest in der Darstellung wahrheits-nah oder -ähnlich. Realismus zumindest in der ein oder anderen Dimension des Spiels (Story, Gegenstände, Regeln der Physik, …) sprechen also erstmal nicht grundsätzlich gegen Videospieligkeit – es sei denn, der Anspruch des Spiels ist es, genau diese Videospieligkeit eben NICHT zu haben.

Aber gefühlt liegt der Hase irgendwie hier im Pfeffer.

Und nun?

Offensichtlich ist die Frage “Was ist ein videospieliges Spiel?” nicht so ganz einfach und schon mal gar nicht objektiv zu beantworten. Mein Versuch, nach besten Wissen und Gewissen, wäre wie folgt:

Ein videogame-ass videogame ist in seiner Wahrheitsähnlichkeit extrem selbstbezogen. Alles ist stimmig und “wahr”, solange man den magischen Kreis des Spiels nicht verlässt. Dabei sind videospielige Spiele extrem selbstbewusst und setzen die Aussetzung der Ungläubigkeit (“Suspension of Disbelief”) beim Spieler einfach und vollumfänglich voraus – sie machen keinerlei Anstalten, ihn dabei zu unterstützen. Gleichzeitig machen sie aber auch keine “Fourth Wall“-Anspielungen oder -Witze, sondern leben einfach mitten in diesem Spannungsfeld.

Was meine ich damit?

Munition platzt aus erledigten Gegnern in Doom 2016 heraus – wir müssen einfach hinnehmen, dass das so ist. Doom macht keine Anstalten, uns diese reale und wirkliche Tatsache in der Doom-Welt zu erklären.

Die Level in Hi Fi Rush sind Videospiel-Level, inklusive Wegweiser-Pfeilen und Jump-Puzzles. In der Welt von Hi Fi Rush sieht so eine High-Tech-Fabrik aus, deal with it, Spieler.

In der grafisch realistischen Battle-Royale-Map der neuen Call of Duty-Spiele liegen mehr Waffen als in den Arsenalen mancher Staaten. Und das Gulag bringt dich zurück ins Spiel. Hat jemand Spiel gesagt?

Das Gameplay von Cook Serve Delicious hat nichts, aber auch gar nichts mit der in der Spielwelt gespielten Rolle und Tätigkeit zu tun. Oh well, its a videogame-ass videogame.

Fazit

Ich mag viele verschiedene Sorten von Spielen. Ich habe sowohl diverse Echtzeitflüge in MS Flight Simulator geflogen als auch stundenlang am Stück Tetris gespielt. Nicht jedes Spiel, das ich mag, ist ein besonders videospieliges Spiel. Aber wenn es mir begegnet, grinse ich und denke ich mich hinein: “Ach schön, Videogame-ass videogames.”


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